Lüttich
Der Steinkohlenbergbau im Revier von Lüttich
Malte Helfer
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Das östlichste Revier Walloniens Das Becken von Lüttich erstreckt sich als östlichster Teil des Kohlengürtels Haine-Sambre-Maas auf einer Länge von etwa 30 km von Engis im SW bis zum Plateau de Herve im NO und auf einer maximalen Breite von 13 km zwischen Herstal und Beyne. Das Becken besteht aus mehreren Teilräumen: dem relativ unbedeutenden Becken von Huy im W, den Becken von Haute-Meuse und Seraing, Plateau d’Ans und Montegnée, Liège und Basse-Meuse sowie dem Plateau de Herve. Die bis in 1 250 m Tiefe reichende Lagerstätte umfasst rund 50 Flöze, deren mittlere Stärke von weniger als 70 cm die geringste in Belgien ist. Die schwächsten abgebauten Flöze hatten nur 40 cm Mächtigkeit, davon 30 cm Kohle. Die stark gefalteten und durchlässigen Schichten machten das Wasser zum Hauptproblem, Grubengas war dagegen normalerweise weniger vorhanden als im Hennegau. Außer Peranthrazit und Gasflammkohle wurde hier fast die gesamte Bandbreite an Kohlesorten gefördert. Die umfassendste Darstellung der Geschichte des Bassin von Liège findet sich bei Claude Gaier. |
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Anfänge um 1200, Vorbild für Europa Liège profitierte im Gegensatz zu den Revieren des Hennegau von der Maas als geeignetem Verkehrsweg. Liège entwickelte sich zu der Kohleregion schlechthin, in die zumindest bis ins 18. Jh. zahlreiche Besucher von weither kamen, um sich über den Kohlenbergbau zu informieren. Es entstand ein für die damalige Zeit umfassendes technisches Wissen. Vokabular und Praktiken des Steinkohlenbergbaus breiteten sich von hier aus in Europa aus und bereiteten die Industrielle Revolution vor. |
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Kessales / Bassin de Liègehttp://www.gr-atlas.uni.lu/index.php/de/articles/wi55/st71/li94?task=view&id=408#sigProIdcea7e6b2c7 Quelle: Alte Postkarte |
Die Gesellschaft der Comparchonniers Großgrundbesitzer und geistliche Institutionen, die traditionell ebenfalls über viel Land verfügten, begannen als erste mit einem intensiveren Kohleabbau. Nachdem diese die Kohle anfangs selbst ausbeuteten, setzte sich dann die Konzessionsvergabe an Dritte durch. Die klassische, eigentümliche Organisationsform des Bergbaus von Liège ist seit dem 14. Jh. nachgewiesen und dauerte bis ins 19. Jh.: die Gesellschaft der "Comparchonniers". Diese unterscheidet sich erheblich von der juristischen Form eines modernen Unternehmens, insbesondere verfügt sie über keine Kapitaleinlage. |
Die Grubenmeister, die sich zusammentaten, kauften nach ihren finanziellen Möglichkeiten eine gewisse Anzahl konkreter Teile der Grube (Parchons), für die sie die Arbeiten finanzierten und dafür dann von der Förderung einen Anteil bekamen. Die organisatorischen Funktionen nahmen sie reihum ein. |
Die Rolle der Entwässerungsherren Am Talfuß gelegen, wurden die Areines mit der tiefsten Sohle der Schächte verbunden und führten das Wasser oft zahlreicher Gruben gleichzeitig zur Maas ab bzw. versorgten Liège mit Trinkwasser. Die Möglichkeit, die tiefen Schächte an den steilen Maashängen auf diese Weise entwässern zu können ist verantwortlich für den frühen Aufschwung des Lütticher Kohlenbergbaus. Für das Ableiten des Wassers zahlten die Gruben den Investoren der aufwendigen Kanäle, den Entwässerungsherren (Seigneurs arniers), einen Entwässerungszins. Konflikte mit anliegenden Landeigentümern und Mühlenbetreibern und die Sorge um die nachhaltige Trinkwasserversorgung von Liège führten schon um 1280 zur Einrichtung einer Kontrolle des Bergbaus. Die "Cour de Justice des Voirs-Jurés du Charbonnage", eine Gruppe von Experten, die von den Schöffengerichten ernannt wurden, erfüllte diese Aufgabe bis zum Ende des Ancien Régime. Zwischen 1318 und 1330 entwickelten sie mit den "Statuts et Ordinanche del Mestier de Cherbonnaige" einen regelrechten "Code minier", einen der ältesten Westeuropas. |
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Xhawirs Xhendelesse / Bassin de Liègehttp://www.gr-atlas.uni.lu/index.php/de/articles/wi55/st71/li94?task=view&id=408#sigProId82ff481cbe Quelle: Alte Postkarte |
Unter den "Comparchonniers" fand man zumindest anfangs einfache Bergleute an der Seite von Händlern und Adligen; letztere sorgten oft auch wie die Eigentümer des Landes oder der Lagerstätte und die Entwässerungsunternehmer für das notwendige Kapital von außen. Letztere erhielten bald eine Schlüsselfunktion im Lütticher Bergbau, da dieser ohne sie nicht mehr betrieben werden konnte. Man nimmt an, dass die Jahresförderung des Reviers sich von 1512 bis 1563 auf 90 000 t verdoppelte; außer in die Hesbaye wurde die Kohle auch in die Campine, nach Louvain und Malines geliefert und selbst nach Holland exportiert. Als am Ende des 16. Jh. der Bergbau unter das Flussniveau ging und zahlreiche Gruben plötzlich überflutet und deshalb aufgegeben wurden, kam es 1581/82 zu dem berühmten Edikt des Fürstbischofs Ernest de Bavière, das denjenigen, der einen Schacht trockenlegte, autorisierte, die Lagerstätte gegen die üblichen Abgaben selbst zu nutzen, ohne dass sich der Landeigentümer dagegen stellen konnte. |
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Micheroux Hasard / Liègehttp://www.gr-atlas.uni.lu/index.php/de/articles/wi55/st71/li94?task=view&id=408#sigProIdc4fd776187 Quelle: Alte Postkarte |
Das Recht der Eigentümer oder der Entwässerer auf die Lagerstätten ebenso wie das System der Comparchonnagen führten zu einem starken Aufschwung des Bergbaus um Liège. Andererseits führte das System auch zu Belastungen für die Entwicklung ab dem Ende des Ancien Régime: begrenzte Mittel, engstirnige und unflexible Unternehmer, denen es oft auch an professioneller Ausbildung mangelte, sowie komplizierte rechtliche Verhältnisse. 1795 wurde in Liège mit dem Loi Mirabeau die Verstaatlichung der Gruben verkündet. 1810 lag die Förderung des Reviers mit 350 000 t bei 38% der belgischen Gesamtförderung an zweiter Stelle nach dem Borinage; ein großer Teil wurde exportiert, da der industrielle Bedarf in der Region noch gering war. Nachdem unter dem Ancien Régime das Recht auf die Bodenschätze bei den adligen oder kirchlichen Grundherren lag, die Abbaugenehmigungen gegen einen Anteil an der Förderung vergeben hatten, führte nach dem Loi Mirabeau (ab 1791 im Zuge der Ausbreitung des Revolutionsgebietes) das napoleonische Berggesetz (1810) zu staatlicher Berghoheit und Konzessionsvergabe. |
Ein rationeller Kohlenabbau wurde eingeführt und in der Folge ein dauerhafter wirtschaftlicher Aufschwung gesichert. Das bei dieser Gelegenheit eingerichtete und später von dem neuen belgischen Staat restrukturierte Corps des Mines spielte eine entscheidende Rolle, ebenso wie die unter holländischem und belgischem Regime eingerichtete Bergschule (Ecole des Mines de Liège), die die bestausgebildeten Bergingenieure der zweiten Hälfte des 19. Jh. hervorbrachte und einen internationalen Ruf erlangte. |
Die erste Dampfmaschine auf dem Kontinent 1720 Bis sich die anfangs anfälligen Dampfpumpen, die die Arbeit von etwa 5 Göpelwerken zu sechs Pferden verrichteten, durchsetzten, sollte es allerdings noch etwas dauern; 1767 gab es erst vier im Becken von Liège, 1773 ein Dutzend. Auch die von Watt verbesserte atmosphärische Dampfmaschine wurde im Becken von Liège erstmals auf dem Kontinent eingesetzt, 1774 in der Grube Kessales in Jemeppe, und die von Watt erfundene doppelt wirkende Maschine mit Schwungrad 1804 in der Grube Beaujonc in Ans. In den meisten Gruben nutzte man jedoch immer noch Pferde, Wasserkraft oder Windmühlen als Antrieb. Nachdem der Bergbau sich anfangs auf die Berghänge hauptsächlich auf dem linken Maasufer und die Hügelketten des Plateau de Herve konzentrierte, erlaubte der zunehmende Einsatz von Dampfpumpen und –fördermaschinen ab Anfang des 19. Jh. die Anlage von Gruben auch in den Alluvialebenen, hauptsächlich um Seraing. Bald darauf ermöglichte die Eisenbahn den Gruben, die sich auf den Hochebenen der Hesbaye, am Rand von Liège und auf dem Plateau von Herve ansiedelten, den überregionalen Absatz. |
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Plakette zum Gedenken an die Errichtung der 1. Dampfmaschine auf dem Kontinent auf der Grube Nouveau Gromet durch O'Kelly im Jahr 1721http://www.gr-atlas.uni.lu/index.php/de/articles/wi55/st71/li94?task=view&id=408#sigProId9f9a06fbbd Foto: Bel Adone
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Cheratte / Bassin de Liègehttp://www.gr-atlas.uni.lu/index.php/de/articles/wi55/st71/li94?task=view&id=408#sigProIdac419f9092 Quelle: M. Helfer |
Aufschwung mit der Eisenindustrie im 19. Jahrhundert |
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Bas Bois / Liègehttp://www.gr-atlas.uni.lu/index.php/de/articles/wi55/st71/li94?task=view&id=408#sigProId210aa08ab8 Quelle: M. Helfer |
Die rechtliche Struktur der Bergwerksunternehmen änderte sich im 19. Jh. zögerlicher als in den anderen Revieren, weil das Becken von Liège während seiner gesamten Geschichte durch Familienunternehmen geprägt war, selbst in der Phase der Aktiengesellschaften (ab 1836), die sich hier erst ab 1873 allgemein durchsetzten. Entsprechend blieb – anders als in den anderen belgischen Revieren – der Einfluss der Banken begrenzt, abgesehen von den Beteiligungen der Eisenindustrie, die sich um billige Kokskohle bemühte. So behielt das Revier einen eigentümlicheren, auch paternalistischeren Charakter; seine Unternehmer neigten dazu, individuell und wettbewerbsorientiert zu handeln, waren Übereinkünften abgeneigt und akzeptierten die staatliche Kontrolle erst unter dem Zwang der Kohlenkrise. Seit dem 19. Jh. waren die Bergleute die Vorreiter der sozialen Bewegungen in der Provinz. Erste sozialistisch geprägte Forderungen kamen um 1850 auf und entwickelten sich zuweilen in einem aufständischen Klima. Die ersten Gewerkschaftsinitiativen entstanden um 1867 und triumphierten 20 Jahre später. Spätestens im 20. Jh. erfuhren schließlich auch die Gruben an der unteren Maas einen beträchtlichen Aufschwung. Auch jetzt kam es wieder zu Innovationen, die sich von Liège ausbreiteten: Das erste elektrische Kraftwerk der belgischen Gruben wurde 1899 auf Espérance in Montegnée errichtet, die erste elektrische Fördermaschine 1903 auf Hasard, das erste Betonfördergerüst Europas 1912 auf Espérance, im Jahr darauf das nächste auf Hasard in Micheroux. 1913 wurde Schwertrübe-Kohlenwäsche zur Abtrennung staubförmigen Bergematerials entwickelt usw. |
Der langsame Niedergang Kurz vor und kurz nach dem 1. Weltkrieg erreichte die Zahl der im Becken von Liège beschäftigten Bergleute 40 000, in den 50er Jahren wurden noch einmal 30 000 erreicht. Die Konzentration der Unternehmen setzte sich bis zum Ende des Bergbaus fort mit der Schließung der am wenigsten rentablen Gruben ab den 1920er Jahren. Mit der Unternehmenskonzentration vergrößerten sich die Konzessionen bis auf 4 897 ha bei der S.A. des Charbonnages de Wérister. |
Nach dem 2. Weltkrieg kam es mit dem "Statut du mineur" und der "Bataille du charbon" zu einer Entkrampfung des Klimas zwischen Bergarbeitern und Unternehmen, aber die Vorreiterrolle der Bergleute beim sozialen Fortschritt setzte sich bis zur endgültigen Schließung der Gruben fort. 1953 wurden im Zuge der Kohlenschlacht noch einmal 5 Mio. t gefördert. Die höchsten Fördermengen einzelner Gruben wurden unmittelbar vor der Kohlekrise der 1950er Jahre erreicht: Mehr als 800 000 t bei Bonne-Espérance, Batterie, Bonne-Fin, Violette und Gosson-Kessales. Diese Zahl ist dennoch deutlich niedriger als die des Hennegau oder gar der Campine zur gleichen Zeit. Mit der Öffnung des europäischen Kohlenmarktes durch den EGKS-Vertrag 1952 wurden die aufgrund der ungünstigen Lagerungsverhältnisse deutlich teureren wallonischen Kohlen der Konkurrenz der Importkohle ausgesetzt. Mit der Kohlenkrise von 1957 war der Niedergang nicht mehr aufzuhalten: 1958 wurden Grands Makets und Kessales-Bon Buveur in Jemeppes-sur-Meuse sowie Théodore in Soumagne geschlossen, 1959 Gosson in Tilleur, Val Benoît in Liège und Mairie in Queue du Bois, 1960 Battice sowie Nord in Wandre, 1962 Bonne Fortune in Ans und Milmort, 1963 Abhooz in Herstal, 1964 Moha/Espérance in Saint-Nicolas. 1965 schlossen Sainte-Marguerite und Batterie in Liège, 1966 N°2 in Montegnée und Levant in Ans, 1967 Péry in Grâce-Hollogne und Romsée, 1968 Belle-Vue in Herstal und Batterie in Liège, 1969 José in Battice und Bure aux femmes in Glain, 1969 Grande Bacnure und 1971 Petite Bacnure in Herstal, 1973 Bonne Fortune in Grâce-Hollogne, 1974 Saint-Nicolas und Micheroux, 1976 Colard in Seraing, 1977 Cheratte als letzte Grube von Hasard. Als letzte Grube des Reviers schloss schließlich 1980 Argentau in Blegny-Trembleur. |
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An viele Schächte erinnert nur ein Gedenkstein - Grube Homvent / Liègehttp://www.gr-atlas.uni.lu/index.php/de/articles/wi55/st71/li94?task=view&id=408#sigProIdeacd81a5fd Foto: Bel Adone 2012
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Das zuletzt geschlossene Bergwerk Blegny wurde unmittelbar nach seiner Schließung 1980 in ein Museum umgewandelt. 2012 wurde der Standort ins Weltkulturerbe der UNESCO aufgenommen.http://www.gr-atlas.uni.lu/index.php/de/articles/wi55/st71/li94?task=view&id=408#sigProIddafc38e463 Foto: M. Helfer 2003 |
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