Warndt
Glas- und Kristallerzeugung im Warndt
Eva Mendgen
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Der deutsch-französische Warndt ist eine der ältesten und wichtigsten Industriegegenden der Großregion. Glasmacher, in der Mehrzahl aus den lothringischen Glasmacherzentren (Forêt de Darney / Bitscher Land), darunter auch viele Hugenotten, siedelten sich im dicht bewaldeten Grenzland in Ostlothringen und an der Saar bereits im späten 16. Jahrhundert an. Hier entstanden in der Folge gut zwei Dutzend Glashütten und Ortschaften. In Frankreich sind dies Merlebach, Creutzwald, Schoeneck, Forbach, Petite-Rosselle, Stiring-Wendel, Longeville und St. Avold, auf deutscher Seite Ludweiler, Karlsbrunn, Lauterbach, Klarenthal, Gersweiler, Fenne, Differten, Werbeln und Wadgassen links der Saar und Luisenthal rechts der Saar. |
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Die erste Generation der Glashütten florierte, bis der 30jährige Krieg und die darauf folgenden Réunionskriege die gesamte Gegend verwüsteten. Eine Erholung der Wirtschaft erfolgte erst im 18. Jahrhundert. Die im Allgemeinen von mehreren Glasmacherfamilien unterhaltenen Manufakturen produzierten entsprechend der Nachfrage Fenster-, Spiegel-, Flaschenglas und vor allem auch "die edle Kunst und Wissenschaft der Herstellung großer Trinkgläser" nach lothringischem Vorbild. Viele Glasmacher stammten aus Darney und aus dem Bitscher Land. Sie waren oft miteinander verwandt, die Weitergabe des Wissens durfte nur innerhalb der Familien erfolgen. Arbeitskräfte kamen allerdings auch aus anderen, zum Teil weiter entfernten Regionen, wie z.B. Tirol, dem Bayrischen Wald, Hessen usw. |
Die Betreiber der Glashütten errichteten neben den Fabrikgebäuden Wohnungen und Nutzgärten für die Arbeiter, um ihre Abwanderung zur anderen Glashütten oder später in den Bergbau und die Eisenindustrie zu verhindern. Zu jeder Wohnung gehörte ein Stück Gartenland, auf dem die Arbeiter ihre Küchengemüse und ihren Kohl pflanzen und auch einige Obst- und Ziersträucher. Im 19. und 20. Jahrhundert verwandelten sich diese Orte in Bergarbeitersiedlungen, die Villen der Glasfabrikanten in Grubenverwaltungen. Von den ersten Glashütten ist heute meistens nicht mehr viel übrig geblieben, wenn man Glück hat, ein paar Urkunden, vereinzelte Bauten in Fenne, Wadgassen, Karlsbrunn, Stiring-Wendel oder Cocheren, oder auch nur Flurnamen. |
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Stiring-Wendel (Moselle), Häuserzeile im Ortsteil Verrerie Sophie http://www.gr-atlas.uni.lu/index.php/de/articles/wi55/gl103/sa117/wa113?task=view&id=795#sigProId2254dd3aee Quelle: © die argelola regiofactum |
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Schloss des Glasfabrikanten Baron von Stralenheim, später Verwaltungsgebäude der lothringischen Berwerksgesellschaft H.B.L., Cocheren (Moselle)http://www.gr-atlas.uni.lu/index.php/de/articles/wi55/gl103/sa117/wa113?task=view&id=795#sigProIdcd4c1b8102 Quelle: © die argelola regiofactum |
Nach dem 1. Weltkrieg gab es im Warndt keine Glashütten mehr, abgesehen von den beiden großen, neueren Glasfabriken in Fenne (Völklingen) und Wadgassen. Beide sind Paradebeispiele für die transnationale Geschichte der Industrie an Saar und Mosel. Sie wechselten die nationale Zugehörigkeit - und mit ihr die Absätzmärkte - im Laufe ihrer Geschichte mehrfach und überlebten trotz dieser schwierigen Situation nahezu 150 Jahre. Die Glashütte Fenne wurde von Lothringern 1812 unter Napoleon gegründet, dann von Saarbrücker Kaufleuten übernommen und in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts von Lothringern (Raspiller) ausgebaut. Fenne stellte auch die ersten technischen Direktoren und Hüttenmeister der Cristallerie von Villeroy & Boch in Wadgassen (1843). Beide Fabriken wurden nach französischem Vorbild eingerichtet, aus den lothringischen Glasmacherzentren wurden immer wieder qualifizierte Arbeitskräfte abgeworben. Fenne und Wadgassen fertigten mundgeblasene Trinkservices, Fenne spezialisierte sich auf Dauer auf halbautomatisch gefertigtes Pressglas, Wadgassen auf Kristallglas. |
In den Kriegsjahren wurden die Glashütten der Region, sofern sie nicht kriegswichtige Produkte lieferten, geschlossen oder zu Lagern für Zwangsarbeiter, Gefangene oder Soldaten umfunktioniert. Den 2. Weltkrieg überlebte im Warndt nur die Cristallerie von Villeroy & Boch, die heute in Wadgassen eine "Show-Glashütte" mit einem Ofen betreibt, die Produktion ist seit dem Ende des 20. Jahrhunderts ausgelagert. Erst 60 Jahre nach der Stilllegung der Produktion in der Glashütte in Fenne, nämlich im Jahr 1999, erinnerte im Heimatmuseum im Warndt in Völklingen-Ludweiler eine auf private Initiativen zurückgehende Ausstellung und ein Katalog mit dem Titel "Die Glashütten im Warndt" an die einstige Bedeutung der Fenner Glashütte. Ihre Geschichte ist nicht weniger kompliziert wie jene der anderen Gebrauchsglashütten der Großregion. Die Quellenlage ist selten so gut wie in Fenne und in Wadgassen, allerdings sind die Unterlagen nicht leicht zugänglich und in deutschen und französischen Archiven verstreut. |
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Biergläser der Glashütte Fenne, 1919, Privatsammlung http://www.gr-atlas.uni.lu/index.php/de/articles/wi55/gl103/sa117/wa113?task=view&id=795#sigProId4e4b573776 Quelle: © die argelola regiofactum |
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Peter Nest, Glassammler, Saarbrückenhttp://www.gr-atlas.uni.lu/index.php/de/articles/wi55/gl103/sa117/wa113?task=view&id=795#sigProId1cc0619943 Quelle: © die argelola regiofactum |
Verschiedene Forscher haben versucht, die Geschichte der Glashütten im Warndt zu rekonstruieren, Carl Büch, Harald Glaser und Willi Kräuter, Walter Neutzling, Günter Scharwath, Wolfgang Schöpp und Werner Weiter. Einen wesentlichen Schritt weiter führte die "Feldforschung" des Gebrauchsglassammlers Peter Nest, der erstmals eine große Anzahl von Produkten der Fenner Glashütte in mühevoller Arbeit zusammengetragen und publiziert hat. Vereinzelte, sehr frühe und schöne Beispiele Fenner Glases fanden zuvor schon den Weg in die Alte Sammlung des Saarland Museums in Saarbrücken. Vor allem auf diesen Aktivitäten baut das 2007 eröffnete Glasmuseum im Heimatmuseum im Warndt in Ludweiler auf. |
Banken, R. 2003: Die Saarregion 1815-1914. Band 2: Take-Off-Phase und Hochindustrialisierung 1850-1914, Stuttgart
Büch, C. 1957: Die Fenner Glashütte. In: Die Schule, H. 5, Mai 1957, S. 94-106
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Büch, C. 1965: Die Gersweiler Glashütten. In: Die Schule, H. 21, 1965, S. 85-99
Burg, J. und Treinen 1991: Die Einwohner der Gemeinde Wadgassen von 1650 - 1875, 3 Bde., Ludweiler
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Heimatkundlicher Verein Warndt e.V. (Hrsg.) 1999: Die Glashütten im Warndt, Völklingen-Ludweiler
Heimatkundlicher Verein Warndt e.V. (Hrsg.) 2006: Der/Le Warndt, Völklingen
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Jentsch, C. Variation und Auflösung einer Form: Römer aus Wadgassen. In: Weltkunst, Nov. 1998, S. 2435 ff.
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Neutzling, W. 1999b: Wadgassen. In: Die Glashütten im Warndt, Völklingen, S. 145-147
Neutzling, W. 1989: Die Glasmacherfamilie Raspiller, Saarbrücken
Saarbrücker Druckerei und Verlag (Hrsg.) 1981: Wadgassen vormals - Alte Fotos aus einer saarländischen Einheitsgemeinde, mit Fotos aus den Sammlungen von Hans Rigot, Wadgassen und Adolf Morschett, Differten, Saarbrücken
Saarbrücker Zeitung 1935: 800-Jahrfeier der Abtei Wadgassen (Archiv V & B, Merzig)
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Scharwath, G. 1993: Bouteillen und Trinkgläser. In: Saarbrücker Zeitung 23./24.10.1993
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